Was ist eigentlich funktionelles Training? Und für wen ist es geeignet?

 

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Das Wort „funktionell“ bedeutet „eine Funktion habend“ oder „zweckmäßig“. Laut der Wortbedeutung ist also jedes Training, das dem Erreichen eines bestimmten Zieles dient, funktionell. Für einen Bodybuilder, dessen Ziel es ist, möglichst viel Muskelmasse aufzubauen, bedeutet funktionelles Training naturgemäß etwas grundlegend Anderes als für einen Rehapatienten, der wieder fit für den Alltag werden möchte.

Was ist also eigentlich mit „funktionellem Training“ gemeint, wenn darüber gesprochen oder damit geworben wird? Und was ist der Unterschied zwischen dem sogenannten funktionellen Training und anderen Trainingsformen?

Funktionelles Training ist eine Trainingsform, die sich viel an alltagstypischen bzw. sportartspezifischen Bewegungen orientiert. Daher sind die Übungen mehrdimensional und man arbeitet größtenteils mit dem eigenen Körpergewicht. Teilweise kommen auch zusätzliche Hilfsmittel wie instabile Unterlagen, Koordinationsleitern, Sling Trainer oder freie Gewichte zum Einsatz. Klassische Kraftmaschinen gibt es jedoch nicht. Während an diesen größtenteils einzelne Muskeln isoliert angesprochen werden, trainiert man beim funktionellen Training den Körper ganzheitlich, das heißt, ganze Muskelketten und Bewegungszusammenhänge werden trainiert. Daher wird funktionelles Training den Situationen im Alltag und im Sport eher gerecht: Man braucht dort eigentlich immer mehrere Muskeln, zum Beispiel beim Transportieren von Getränkekisten oder in einem intensiven Zweikampf. Außerdem werden durch das Ansprechen ganzer Muskelketten automatisch die inter- und die intramuskuläre Koordination verbessert, d.h. die Zusammenarbeit der Muskeln untereinander und die Abläufe innerhalb eines Muskels. Des Weiteren verbessern sich das Zusammenspiel zwischen Nerven und Muskeln und die Propriozeption, d.h. die eigene Körperwahrnehmung,. Funktionelles Training fordert also nicht nur den Körper, sondern auch den Kopf. Deshalb kann man beim funktionellen Training auch gut abschalten: Der Kopf ist zu sehr mit der richtigen Ausführung der Bewegung beschäftigt, als dass man über Alltagsprobleme nachdenken könnte. Dadurch, dass so viele Muskeln gleichzeitig angesprochen werden, kommt außerdem das Herz-Kreislauf-System viel mehr in Schwung als zum Beispiel beim Training an Maschinen.

Aufgrund der Tatsache, dass beim funktionellen Training mit dem eigenen Körpergewicht, manchen Hilfsmitteln und freien Gewichten trainiert wird, gibt es eine unbegrenzte Anzahl an Übungen und Variationen. Funktionelles Training ist im Prinzip für jedes Leistungsniveau geeignet, da der Schwierigkeitsgrad individuell angepasst werden kann.

Auf den ersten Blick scheint es so, als könne jeder funktionelles Training praktisch jederzeit und überall machen.

Zahlreiche Appanbieter und Verlage nutzen das aus, sodass der Markt momentan mit neuen Apps und Büchern zum diesem Thema überschwemmt wird. Die Komplexität der Übungen sorgt jedoch dafür, dass man in der Übungsausführung mehr falsch machen kann, als wenn man an Maschinen trainiert. Eine falsche Übungsausführung kann schnell zu Verletzungen von Muskeln und Gelenken führen – vielleicht nicht unmittelbar, aber langfristig gesehen. Übermotivation und Selbstüberschätzung tun dann ihr übriges, so dass viele ambitionierte Fitnessstudiobesucher Verletzungen haben, die auf zu schnelle Steigerung der Gewichte zurückzuführen sind. Muskeln passen sich schnell an Belastungen an; Gelenke, Sehnen und Bänder benötigen aber mehr Zeit und machen sich dementsprechend schmerzhaft bemerkbar.

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Ein ausgebildeter Trainer sorgt nicht nur dafür, dass die Übungen richtig ausgeführt werden, sondern auch, dass die Trainingsumfänge passen. Und ausgebildet meint in diesem Fall nicht, zwei Wochenenden und ein paar hundert Euro in den Erwerb einer Lizenz investiert zu haben, sondern wirklich zu wissen, wovon man spricht. Ein ausgebildeter Trainer pro 50 Trainierende macht auch keinen Sinn, da eine individuelle Betreuung so unmöglich ist und man nicht für die Betreuung, sondern nur die Benutzung der Geräte bezahlt – für die Erstellung eines Trainingsplans ist man selber verantwortlich. So sieht die Realität vieler Fitnessstudios aus. Und dennoch erfahren diese immer mehr Zulauf. Viele der Neukunden waren jahrelang nicht bei Vorsorgeuntersuchungen, wissen nicht, wie es ihrem Körper geht.

Das ist so, als wäre man ein Fahranfänger und würde (mehr oder weniger freiwillig) nach der ersten Fahrstunde alleine auf die fünfspurige Autobahn fahren – in einem Auto, dass zehn Jahre nicht gefahren wurde und nicht bei der Inspektion war. Im Autoverkehr undenkbar – in der Fitnessbranche leider üblich.

Obwohl funktionelles Training sich aufgrund des geringen Materialaufwandes sehr gut für zuhause anbietet, sollte man sich also die Übungen richtig zeigen und die Ausführung kontrollieren lassen bis man sie sicher beherrscht. Funktionelles Training ist gut für Kleingruppen geeignet, weil jeder die Intensität und das Tempo, mit der die Übungen ausgeführt werden, selber anpassen kann. Außerdem sorgt das Training in der Gruppe für eine viel größere Motivation, als wenn man alleine zuhause trainiert.

Ein großer Pluspunkt funktionellen Trainings ist, dass es nicht länger als eine halbe Stunde dauern muss, um effektiv zu sein – und zwar inklusive Aufwärmen. Ein gutes Aufwärmprogramm ist so konzipiert, dass es den Körper nicht nur aufwärmt, sondern regelrecht aktiviert, daher auch der im funktionellen Training bevorzugte Begriff Aktivierung. Das heißt, dass nicht nur der Kreislauf in Schwung gebracht wird, sondern der gesamte Körper, die Muskeln und vor allem die Gelenke in ihrer gesamten Bewegungsamplitude auf die anstehende Belastung vorbereitet werden. Nach nicht einmal zehn Minuten kann das eigentliche Training starten, in dem dann komplexe Bewegungen, die den gesamten Körper ansprechen, anstehen. Durch ein kurzes, aber intensives Work-Out am Ende der Trainingseinheit in Form eines Intervalltrainings wird der Kreislauf noch einmal gefordert und man kann sich so richtig auspowern. Nach einer halben Stunde funktionellen Trainings hat man also durchaus eher das Gefühl, alles aus sich rausgeholt und etwas für den Körper getan zu haben als nach zwei Stunden in einem herkömmlichen Fitnessstudio.

Daher ist funktionelles Training auch perfekt für all diejenigen geeignet, die beruflich bedingt wenig Freizeit haben und diese dann lieber mit der Familie genießen oder anderen Hobbies nachgehen möchten als Stunden im Fitnessstudio zu verbringen. Gerade jemand, der täglich acht Stunden am Schreibtisch sitzt, sollte sich in seiner Freizeit jedoch ausreichend bewegen, denn sonst drohen nicht nur Rückenschmerzen, Gelenkbeschwerden und Übergewicht, sondern auch ein geschwächtes Kreislauf- und Immunsystem. Dreimal die Woche eine halbe Stunde sind nicht viel Zeit, bewirken aber viel: Die Aktivität fördert nicht nur die allgemeine Gesundheit, sondern die Lebensqualität und auch Effektivität im Job: Wird das Herz-Kreislauf-System in Schwung gebracht, beugt das nicht nur Erkrankungen desselbigen vor, sondern fördert auch die Durchblutung des Gehirns und verbessert dadurch die Konzentration. Außerdem senkt Bewegung das Level des Stresshormons Cortisol und stärkt das Immunsystem, man ist also weniger gestresst und seltener krank. Eine verbesserte Rumpfstabilität sorgt außerdem dafür, dass weniger Rückenschmerzen, vor allem haltungsbedingte, auftreten.

Doch auch für diejenigen, die im Beruf bereits körperlich gefordert sind und auf den ersten Blick nicht noch mehr Bewegung benötigen, ist funktionelles Training gut geeignet um späteren Schäden durch falsche Belastungen vorzubeugen. Viele Berufe im Handwerk, beim Bau oder auch in der Pflege fordern das Heben von schweren Lasten. Eine gute Rumpfstabilität und die saubere Ausführung von (Hebe-)Bewegungen kann hier langfristige Schäden verhindern. Beinkraft spielt auch eine große Rolle, da rückenschonendes Heben einer Kniebeuge ähnelt und dementsprechend die Kraft aus den Beinen genommen wird. Außerdem sind die Belastungen im Beruf häufig einseitig, daher muss bewusst Ausgleich geschaffen werden.

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Gerade auch für Senioren sind im Alltag nicht nur gute Fitness, sondern auch verbesserte Körperwahrnehmung und Stabilität ein großer Vorteil. Stolpern oder Ausrutschen lassen sich manchmal nicht verhindern, wohl aber ein schlimmer Sturz. Gutes Zusammenspiel zwischen Nerven und Muskeln sorgen dafür, dass das Gleichgewicht wiedergefunden wird, bevor es zu spät ist. Auch viele alltägliche Sachen wie Einkaufstüten schleppen fallen durch regelmäßiges funktionelles Training deutlich leichter. Im Endeffekt wird also die Lebensqualität stark verbessert.

Gelenkbeschwerden oder womöglich sogar ein neues Hüft- oder Kniegelenk stehen funktionellem Training in keinerlei Weise im Weg. Denn bei einer Kniebeuge wirken zum Beispiel ähnliche Kräfte auf Hüfte und Knie wie beim normalen Gehen und deutlich weniger als beim Treppensteigen. In Zahlen sieht das folgendermaßen aus: Auf das Knie wirkt beim Gehen und der Kniebeuge etwa das 2,5-fache des Körpergewichts und auf der Treppe das 3- (abwärts) bzw. 3,5-fache (aufwärts). Wer also beschwerdefrei gehen kann, der kann auch Kniebeugen machen.

Auch Kreislaufprobleme und Herzerkrankungen, die natürlich nicht nur bei Senioren, sondern auch bei jüngeren Menschen vorkommen, sprechen nicht gegen funktionelles Training. Eine individuelle Betreuung ist da aber umso wichtiger, damit die richtigen Übungen und vor allem auch die Intensität passend ausgewählt werden können.

Funktionelles Training kommt ursprünglich aus der Physiotherapie und dem Rehabereich und wird dort auch viel eingesetzt. Ein guter Grund dafür ist, dass die Verbesserung der Rumpfstabilität bei der Behandlung – aber auch der Prävention – vor allem von den weitverbreiteten Rückenschmerzen eine große Rolle spielt. Aber auch bei der Therapie von anderen Verletzungen, zum Beispiel am Knie, ist funktionelles Training die beste Trainingsform, denn gerade im Sport, aber auch im Alltag, kommen oft genug unerwartete Belastungen und vor allem Drehbewegungen vor. Auf diese kann man ein Knie – oder auch andere verletzte Körperteile – nicht an Maschinen, sondern viel besser durch funktionelles Training vorbereiten.

Das gilt außerdem nicht nur für verletzte oder wieder genesene Körperteile, sondern auch für vermeintlich gesunde. Wer noch nie einen Liegestütz gemacht hat, wird große Schwierigkeiten haben, sich bei einem Sturz mit den Armen abzufangen, wer jedoch häufig Liegestütze macht und dazu durch das funktionelle Training eine gute Körperwahrnehmung hat, wird vermutlich mit leicht aufgeschürften Händen aber heilen Knochen davonkommen. Verletzungen durch unerwartete Bewegungen und Belastungen lassen sich demnach durch funktionelles Training verhindern.

Funktionelles Training ist also für „normale“ berufstätige und ältere Menschen auf jeden Fall gut geeignet. Lässt es sich aber wirklich an jedes Leistungsniveau anpassen, auch an das von Sportlern, selbst von Profis?

Die Tatsache, dass die deutsche Fußballnationalmannschaft seit 2004 auf funktionelles Training vertraut und es seitdem bei großen Turnieren immer mindestens ins Halbfinale geschafft hat, spricht ganz stark dafür. Natürlich liegt das nicht nur an der körperlichen Fitness, sondern auch an vielen anderen Faktoren. Ohne gutes Athletiktraining wären diese Erfolge aber nicht möglich gewesen.

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Funktionelles Training ist also nicht nur geeignet, um die Fitness einer Amateurmannschaft zu verbessern, sondern auch im Hochleistungssport eine Ergänzung zu „normalem“ Krafttraining.

Dadurch, dass vor allem Bewegungen und nicht nur einzelne Muskeln trainiert werden, wird (wie bereits erwähnt) das Zusammenspiel der Muskeln verbessert. Das verhilft dem Sportler nicht nur zu mehr Kraft, Schnelligkeit und Sprungkraft, sondern führt auch dazu, dass die Bewegungen des Sportlers ökonomischer werden, das heißt, bei gleicher Bewegung wird weniger Kraft verbraucht. Oder andersherum: Mit gleichem Kraftaufwand wird „mehr Bewegung“ geschafft. Der Sportler ist also stärker, schneller, springt höher und hält länger durch. Darin besteht auch der größte Unterschied zwischen einer Drittligamannschaft und einer Bundesligamannschaft – nicht etwa in Technik und Taktik.

Funktionelles Training zielt unter anderem auf die Verbesserung der Rumpfstabilität und der Propriozeption. Körperspannung und -kontrolle sind in einigen Sportarten (wie z.B. Turnen oder Skispringen) ganz offensichtlich nötig, aber auch in Kontaktsportarten sollte ihre Bedeutung keinesfalls unterschätzt werden. Um auf Einflüsse von außen reagieren und Verletzungen vermeiden zu können, benötigt der Sportler einerseits Stabilität in Muskeln und Gelenken, andererseits muss das Zusammenspiel zwischen Nerven und Muskeln gut und schnell funktionieren. Ein Fußballer mit guter Rumpfstabilität kann zum Beispiel im Zweikampf seinen Körper besser einsetzen und ein Handballer, der im Sprungwurf geschubst wird, kann das Fallen auf den Rücken und eine damit verbundene schmerzhafte Verletzung durch Stabilität und gute Körperwahrnehmung verhindern.

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Außerdem zeigen viele Sportler – auch auf höherem Niveau – deutliche Mängel, was die Mobilität angeht. Kann eine bestimmte Bewegung aufgrund mangelnder Mobilität nicht ausgeführt werden, entwickelt man automatisch neue Bewegungsmuster, die langfristig zu Verletzungen, vor allem Überlastungsschäden, führen können. Diesen kann man durch funktionelles Training vorbeugen, weil die komplexen Übungen die Mobilität verbessern.

Funktionelles Training ist also vielseitig einsetzbar, auch auf sehr unterschiedlichen Leistungsniveaus. Gerade für Senioren bedeutet es eine Steigerung der Lebensqualität. Für Berufstätige und Freizeitsportler, die ein gesundes Leben führen und ihre allgemeine Fitness verbessern möchten, ist funktionelles Training bestens geeignet und klassischem Krafttraining eindeutig vorzuziehen. Und Leistungssportlern kann funktionelles Training zu großen Erfolgen verhelfen.

Quellen:

2 Comments »

  1. Toller Beitrag! Vorallem danke ich für die verlinkten Quellen, da kann ich mich gleich noch intensiver informieren. Besonders der Abschnitt über Sport für Senioren hat mich dazu bewegt, einfach mal wieder aktiver zu werden. Ich danke für die Inspirationen!

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